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Interview mit Felicitas Hoppe

Boston, Goethe Institut, Donnerstag, 29. Oktober 2015

Es ist geschafft: das letzte Interview »Manchmal will ich einfach am falschen Ort landen«.

Vor 80 Jahren haben sich die sowjetischen Schriftsteller Ilja Ilf und Jewgeni Petrow aufgemacht, um Amerika zu ergründen. Jetzt hat sich die Autorin Felicitas Hoppe auf Einladung des Goethe-Instituts auf ihre Spuren begeben. In sechs Wochen quer durch die USA. Wir haben danach mit ihr gesprochen.

60 Tage lang waren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow im Jahr 1935 in den Vereinigten Staaten unterwegs – auf der Suche nach dem Kern des »Phänomens Amerika«. Die Eindrücke ihrer Reise veröffentlichten die beiden zunächst in zahlreichen Artikeln für die Prawda; später erschien dann der ausführliche Reisebericht unter dem Titel Das eingeschossige Amerika, ein Buch, das die Sicht auf die USA in Osteuropa wesentlich geprägt hat. Nun durchquerte Felicitas Hoppe gemeinsam mit den Künstlern Jana Müller, Alexej Meschtschanow und der Wissenschaftlerin Ulrike Rainer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Fazit.

Sie sind die 10.000 Meilen bequemer abgefahren als die beiden Russen in ihrem Ford ohne Heizung und mit 40 Meilen pro Stunde Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem sind sechs Wochen im Auto anstrengend. Wie war die Gruppendynamik?

Felicitas Hoppe: Das war in der Tat eine spannende Herausforderung. Zum einen kannten wir uns nicht besonders gut, zum anderen umspannte unsere kleine Reisegruppe einen Altersunterschied von gut drei Generationen mit entsprechend unterschiedlichen Wahrnehmungen und Herangehensweisen. Unser rubinroter Ford wurde dabei manchmal zu einem goldenen Käfig. Am Anfang ließen wir uns Zeit, so dass wir schließlich in den letzten zehn Tagen fast die Hälfte der Gesamtstrecke zurücklegen mussten. Wir konnten kaum richtig pausieren und unserer eigenen Wege gehen. Insgesamt hat aber alles hervorragend funktioniert; wir sind stolz darauf, das gemeinsam durchgezogen zu haben.

Wie darf man sich das konkret vorstellen? Inwiefern diente das Buch von Ilf und Petrow als Vorlage?

FH: Das präzise beobachtende und überaus witzig geschriebene Buch war eine perfekte Vorlage und hat unsere Reise ungeheuer entlastet, indem es eine Spur gelegt hat, der wir sozusagen pfadfinderhaft gefolgt sind. Das hat uns viele mühevolle Entscheidungen abgenommen.

Was hat sich seit den Zeiten von Ilf und Petrow verändert?

FH: Der Wiedererkennungseffekt ist erstaunlich hoch. Selbstverständlich hat sich die Infrastruktur stark verändert. Das Straßennetz ist deutlich ausgebaut worden, die Großstädte sind weiter gewachsen. Sonst aber war vieles genau wie im Buch. Wir haben sogar noch Hotels entdeckt, in denen die beiden übernachtet haben. Ich habe während der Fahrt parallel die Stellen mitgelesen, die wir bereist haben. Da zeigt sich das Buch in einem ganz anderen Licht, weil man plötzlich wirklich sieht, was man liest: dieselben Motive, die wir auch aus den Bildern von Ilf kennen; vieles steht noch genauso unverrückbar da wie damals. Die Landschaft dahinter hat sich natürlich kein bisschen verändert. Unverändert wirklich ist aber auch die Essenz des Buches von Ilf und Petrow: das eingeschossige Amerika. Sobald man die Städte hinter sich lässt, taucht man in eine Art Niemandsland ein; im ländlichen und kleinstädtischen Amerika ticken die Uhren eben anders.
Der Mittlere Westen oder Texas ist wie ein anderes eigenes Land und hat wenig mit Chicago oder New York gemein. Man trifft auf den uns Intellektuellen bis heute so fremden Gründungskern des Landes. Hier haben sich Menschen niedergelassen, die ihre kleinen Geschäfte und Farmen betreiben, sie leben ihr Leben. Unvergessen der lakonische Satz einer Kassiererin in Nevada auf die Frage, wer dort gerade regiere: »What do I know, they come and go.«

Welche Bilder sind Ihnen besonders stark in Erinnerung?

FH: Ich bin eigentlich ein städtischer Mensch; daher hat mich Las Vegas unglaublich beeindruckt, als Gipfel disneyhafter Verzerrung. In dieser Karikatur einer Weltstadt sind alle möglichen urbanen Zitate zusammengefügt, von Big Ben bis zum Eiffelturm.
Man arbeitet sich begeistert durch diesen dröhnenden Moloch wie durch eine Art Vorhölle, um dann in der scheinbar erlösenden Wüste zu landen. Und am Rande der Wüste vor dem Eingang zum Death Valley gibt es plötzlich diesen magischen Ort: ein langgestrecktes weißes Gebäude, das aussieht wie ein Kloster. Und auf ein Schild, und da steht: Armagosa Opera House. Wir sind natürlich reingegangen und haben erfahren, dass die Tänzerin Marta Beckett auf einer Tournee in den Sechzigerjahren diesen Ort entdeckte und beschloss, für immer zu bleiben. Seither lebt und tanzt sie dort. Auch ich wäre einfach gern dageblieben.

Dank der modernen Medien dringen Bilder aus der ganzen Welt täglich in unser Bewusstsein. Welche Bedeutung hat Reisen in diesen Zeiten?

FH: Ich kann nur für mich sprechen, und ich behaupte: Reisen konkretisiert das Erleben und das, was wir Wirklichkeit nennen. Der Faktenschatz des omnipräsenten Internets hat mich irgendwann angestrengt und genervt. Es hilft, schlechte Hotels oder Restaurants zu vermeiden, aber manchmal hatte ich einfach das simple Bedürfnis, an einem ganz und gar »falschen Ort« zu landen. Mit dem Körper physisch wie psychisch etwas machen zu müssen und abends müde ins Bett zu fallen ist und bleibt nun mal eine andere Erfahrung, als das unbeschwerte Surfen auf digitalen Wellen.

Was geschieht mit Ihren Eindrücken – dürfen wir ein Buch erwarten?

FH: Bei der abschließenden Podiumsdiskussion im Goethe-Institut New York brachte mir ein begeisterter Besucher ein amerikanisches Magazin mit, das die bekanntesten zwölf Reisebeschreibungen über die USA auflistete. Ilf und Petrow waren prominent vertreten; ein deutsches Buch war leider nicht dabei. Es würde mich reizen, einen literarischen Beitrag beizusteuern. Kein Remake von Ilf und Petrow, auch wenn mich ihre Art des Schauens und Sprechens sehr inspiriert hat. Vorher möchte ich allerdings mit meinen Begleitern Jana Müller und Alexej Meschtschanow ein Format erarbeiten, in dem wir Text und Bild produktiv verbinden.

Gibt es für Sie eine Quintessenz der Reise?

FH: O ja! Sie liegt im Erlebnis der Technik. Für Ilf und Petrow spielten neben Brücken und Staudämmen Person und Wirken von Henry Ford eine besondere Rolle. Henry Ford wird in ihrem Buch als ein Konzernpatriarch ohne eigenes Büro beschrieben. Mehr Gegenwart geht gar nicht! Der Mann ist überall und nirgends, kann überall auftauchen, ist Held, Boss und Phantom in einer Person; genau darin besteht seine Macht. Für uns war es höchst interessant zu sehen, wie ungebrochen unkritisch der Antisemit von damals bis heute gefeiert wird.

Das Interview führten Christoph Mücher und Karin Oehlenschläger.


 

 

Boston, Goethe Institut, Donnerstag, 27. August 2015

Wie sind Sie auf den Reisebericht von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow gestoßen und wie kam es zum aktuellen Projekt der Nachreise?   
  

Felicitas Hoppe: FAN des legendären sowjetischen Autorenduos bin ich seit Jahrzehnten; auf den amerikanischen Reisebericht bin ich allerdings erst durch die Lektüre von Karl Schlögels Terror und Traum/Moskau 1937 gestoßen. Mein erster Impuls: Einsteigen, mitfahren, Gast zwischen den Imperien sein! Jetzt ist Das eingeschossige Amerika seit ein paar Jahren endlich auch in Deutschland zu haben: Höchste Zeit, den beiden Russen und ihren Reiseführern 80 Jahre danach tatsächlich hinterher zu fahren.
Die Realisierung des Projekts verdanke ich u.a. einem Aufenthalt in der Villa Aurora in Los Angeles/Pacific Palisades, dem Exilwohnsitz Lion Feuchtwangers, der Ilf und Petrow ein Jahr nach ihrer Grand Tour noch persönlich in Moskau begegnet ist.

Was fasziniert Sie an den Beschreibungen der beiden Russen, anno 1935, die vor allem geprägt sind von der Faszination mit dem technischen Fortschritt und dem Staunen über die Industrialisierung Amerikas?

FH: Der erste Blick und die Neugier; der Witz, der Humor und die Selbstironie; das große elektrifizierte Staunen ebenso wie die Vorurteile und Klischees in der Beschreibung der Begegnung mit einem neuen Kontinent und einer fremden Gesellschaft; und die (scheinbare) Naivität, aus der so einfache wie überraschende Erkenntnisse kommen.

Mit welchem Ziel treten Sie gerade jetzt eine »Nachreise« an und wer sind Ihre Reisegefährten?

FH: Jetzt oder nie! In einer Zeit und einer Gesellschaft, die sich gern für postideologisch und postheroisch hält, während sich die alten, längst tot gesagten Blöcke zweier »Imperien« von einst überraschend neu als Gegner Ostwest positionieren, ist die Nachreise der Grand Tour nicht von gestern, sondern Anregung und Herausforderung zu einer neuen Bestandsaufnahme in Wort und Bild, die wir zu dritt bis viert unternehmen wollen.
Kerntruppe sind, neben Hoppe, die bildenden Künstler Jana Müller (gebürtig aus Halle) und Alexej Meschtschanow (gebürtig aus Kiew), die ihren eigenen Blick auf die Sache werfen. Ulrike Rainer vom Darmouth College/New Hampshire (gebürtig aus Wien), die die Tour organisatorisch begleitet, ist auf Teilstrecken dabei; und es gibt einen weiteren Platz für virtuelle und echte Tramper, sprich, einen fünften bis sechsten Platz, jederzeit frei für Leute, die auf die eine oder andere Art real oder medial zusteigen und Etappen der Reise begleiten wollen.

Sie sehen Amerika ja nicht mit russischen Augen zu Zeiten des zweiten Fünfjahresplanes, sondern mit bundesrepublikanischen Augen achtzig Jahre nach der Erstreise. Auf was werden Sie besonders achten?

FH: Wir setzen auf CHANCE, auf Zufall und Glücksfall, auf den Moment der Begegnung. Wohl wissend, dass wir eine bundesrepublikanische Schnittmenge besonderer Art bilden und unsere eigenen Geschichten mit auf die Reise nehmen: als dreisprachige  Europäer und Ostwestemigranten, als Passanten zwischen  Kiew, Wien, Berlin und dem Westen jenseits des Ozeans. Das ist unser Standort und Blickwechselvorteil: dass wir, halb Westen, halb Osten, keinen der Blöcke, sondern das kleine Europa dazwischen repräsentieren, das sich seiner längst nicht mehr sicher ist.
Neben den großen strapazierten Themen, ein Jahr vor der Präsidentenwahl (Technik, Medien, Big Data, Leben und Tod, Spionage und Politik), interessiert uns, allem voran, das, was noch immer am Wegrand liegt; das Eingeschossige Amerika jenseits der Metropolen: der Zaun von Tom Saywer, das Heimatmuseum, die Spuren des Wizard of Oz im mittleren Westen und die Tiere im Weißen Haus.

Die Beschreibungen von Ilf und Petrow darf man ja nicht ganz wörtlich nehmen, schließlich handelt es sich um eine literarische Reise-Erzählung. Wollen Sie im gleichen Stil neu erzählen?

FH: Könnte ich es, ich wäre fein raus – aber Vorgänger soll man nicht nachahmen wollen, man kann ihnen lediglich nachspüren. Allerdings ist ihre Literatur ein Programm, das uns lehrt, was wir niemals vergessen sollten: dass alles Reisen Nachreisen ist, jeder Reisebericht eine Erfindung, die sich im Kostüm vermeintlicher Information unterwegs in Geschichten verwandelt, in unzuverlässiges Material, dem wir niemals ganz trauen sollten. Genau das aber ist der Mehrwert der Literatur, die uns vom Journalismus befreit und die Wege ins eigene Reisen ebnet.
 
Was gefällt Ihnen so am Reisen?

FH: Die Motorik des Schreibens. Bewegung nach vorn und nach hinten zugleich. Das Wissen, dass wir nicht wissen, was war und was kommt. Ob die Erzählung der Erfahrung gewachsen ist, die sich niemals ins passende Bild fassen lässt. Wer mit offenen Augen reist, passt niemals ins Bild.

Das Interview führte Karin Oehlenschläger.
http://blog.goethe.de/little-golden-america-revisited/